Harald Ebner ist Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Er erinnerte an die aus der Not getroffene Entscheidung, nach dem Ausstieg aus russischem Gas die drei verbleibenden Atomkraftwerke Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 ohne neue Brennelemente anderthalb Monate länger am Netz zu lassen.
Am 15. April 2023 wurden die drei letzten Atomkraftwerke vom Netz genommen. Nicht jeder finde das gut. Die Überzeugung, dass sich Probleme wie hohe Energiepreise in Luft auflösten, wenn man anders entschieden hätte, beziehe nicht alle Faktoren mit ein, denn Atomkraft sei riskant, unzuverlässig, teuer, nicht klimakrisensicher und auch nicht umweltfreundlich. Der Faktor „Sicherheit“ erhöhe sich in dem Moment, in dem die Brennelemente aus dem Reaktorkern herausgehoben und ins Abklingbecken gesetzt würden, um das 631-fache. Ebner zitierte den Betreiber EnBW selbst. Wie Tschernobyl und Fukushima gezeigt hätten, ließen sich Schreckensszenarien auch mit bestem Ingenieurswissen nicht verhindern. Frankreich habe im vergangenen Jahr mehrere Atomkraftwerke abschalten müssen, weil Kühlwasser in den Flüssen gefehlt habe. Bei der unerwarteten Gelegenheit seien selbst bei neueren Reaktoren Risskorrosionsschäden im inneren System festgestellt worden. Niemand wisse, was es gekostet hätte, etwaige später entdeckte Mängel zu beheben.
Auch das Argument des billigen Atomstroms will Ebner nicht gelten lassen. Kernkraftwerk Olkiluoto 3 in Finnland sei 12 Jahre später als geplant ans Netz gegangen und habe statt 3,2 Milliarden Euro 11 Milliarden gekostet. Ähnliches passiere derzeit in Großbritannien mit Hinkely Point C in wesentlich größeren Ausmaßen, bestätigte Ebner auf eine Nachfrage. Im Vergleich zu erneuerbaren Energien sei Atomkraft vier Mal so teuer.
Der erforderliche Rückbau nach Ende des Leistungsbetriebs koste zudem 1,7 Milliarden Euro pro Reaktor. Anträge von der AfD und der CDU, die Reaktoren zumindest als Reserve beizubehalten, hätten die Grünen abgelehnt. Diese Vorgehensweise verstoße gegen das Gesetz – dieses fordert den unverzüglichen Rückbau nach Ende des Leistungsbetriebs – und sei unwirtschaftlich. Selbst ein „Reserve-Reaktor“ erfordere als Hochsicherheitsanlage einen riesigen Aufwand und koste den Staat etwa dreistellige Millionenbeträge pro Monat nur für die Bereithaltung, ohne dafür etwas zu bekommen.
Zudem würde damit die Menge des am Ende einzulagernden, hochradioaktiven Materials weiter ansteigen. Schon jetzt sei es schwer genug, überhaupt einen Standort für die 300.000 Tonnen zu finden, von denen man bislang ausgehe, kein Endlager sei bisher in Betrieb. Ebner erläuterte die Probleme bei der komplexen Standortsuche. Maximal drei Generationen hätten einen Nutzen aus der Atomkraft gezogen, tausende von Generationen müssten anschließend auf das Material aufpassen – 500 Jahre sind Vorgabe.
Abschließend kam Ebner auch noch auf den Beschuss des ukrainischen Atomkraftwerkes Saporischschja durch das russische Militär zu sprechen. „Atomkraft ist in Friedenszeiten schon gefährlich genug, in Kriegszeiten haben wir aber eigentlich gar nichts mehr in der Hand, wenn sich einer einfach nicht an die Regeln hält.“
Atomkraftbefürworter dürften auch nicht vergessen, dass bis zu 45 Prozent allen Urans aus russischen, aserbaidschanischen und sonstigen fragwürdigen Quellen komme, nahezu 100 Prozent der Brennelemente für Reaktoren östlichen Bautyps kämen sogar direkt aus Russland. „Wir wären deshalb noch abhängiger“, so Ebners Fazit.
In der anschließenden Diskussion äußerte SPD-Mitglied Hans Lambacher den Vorwurf, dass man den Atomausstieg zwar beschlossen und umgesetzt habe, dass es sämtliche politischen Parteien – auch die Grünen und die SPD – aber versäumt hätten, notwendige Alternativen zu schaffen. Das ließ Ebner so nicht stehen. Mehr tun zu können erfordere auch die entsprechende politische Potenz. Die hätten die Grünen, die nie alleine regiert haben, nicht gehabt. Bereits 2011 habe man das Planungsrecht verändert, um die rechtlichen Grundlagen für den weiteren Ausbau zu schaffen und Kommunen in die proaktive Planung zu bewegen. Die Antragszahlen seien daraufhin auch gestiegen, bis Altmeier mit seinem Solar- und Windkraftdeckel wieder alles ausgebremst habe. Auch jetzt dürften sie nur mitregieren und die FDP wolle bei grünen Positionen sowieso immer das Gegenteil. Trotzdem sei es wenigstens gelungen, den Braunkohleausstieg im Rheinischen Revier acht Jahre vorzuziehen.
Über diese und weitere Fragen hat uns Harald Ebner MdB, Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz und Berichterstatter der Bundestagsfraktion zu nuklearer Sicherheit mit interessierten Menschen in Dornstetten lebhaft und mit belastbaren Fakten Rede und Antwort gestanden. Es war ein hochinteressanter Abend – und der Applaus ehrlich verdient.
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