Den Freudenstädter Kliniken mangelt es zumeist nicht an Betten. Was fehlt, ist das Personal. Ob Kaiserschnitt, Knie, Herzkatheter: Planbare Operationen wie auch die Corona-Akutversorgung fordern viele Arbeitsstunden von der stets knappen Belegschaft. Über diese und weitere Herausforderungen sprach die Grüne Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke am 15.9.2022 mit der Klinikleitung und machte sich ein Bild vor Ort.
Krankenhäuser im ländlichen Raum ächzen unter der Finanzierungslast und trommeln seit Jahren für die Erhaltung einer wohnortnahen Versorgung. Die Freudenstädter Grünen organisierten Unterstützung aus Berlin – Beate Müller-Gemmeke, selbst aus Reutlingen und vertraut mit dem ländlichen Raum, kam gerne. Landrat Dr. Rückert, selbst im Urlaub, entsandte dazu seinen Kämmerer Ulrich Bischoff zum Gespräch.
Hervorragend vorbereitet präsentierte Monique Bliesener, Geschäftsführerin der Krankenhäuser im Landkreis Freudenstadt (KLF) gGmbH, Zahlen und Fakten zum Klinikbetrieb und machte klar, wieviel Potential sie selbst in dem Standort sieht. Bischoff lieferte einen präzisen Umriss zum Anspruch und Bedarf im Landkreis. Die beiden sprechen regelmäßig miteinander über den Einsatz der ständig knappen Finanzmittel. Aktuell geht es oft um die Digitalisierung und deren Kostenrahmen, dessen zeitliche Vorgabe aufgrund der IT-Lieferengpässe kaum realisierbar scheint.
Müller-Gemmeke machte sich etliche Notizen, fragte nach und horchte auf, als es um Arbeitnehmerüberlassung ging, eines ihrer Spezialthemen. Die Kliniken kommen mit ihrem Stammpersonal nicht immer aus – also wird zusätzliches Personal engagiert. Bliesener erläuterte, dass beispielsweise für einen Arzt in Arbeitnehmerüberlassung pro Monat etwa ein Drittel der Kosten zusammenkommen können, die ein festangestellter fortgeschrittener Assistenzarzt für ein ganzes Jahr den Arbeitgeber kostet. Von solchen kurzzeitigen Verträgen profitieren Leiharbeitsfirmen derzeit ebenso wie Arbeitnehmer*innen in dieser Branche. Was im Einzelnen die Leiharbeitskräfte von Agenturen ausbezahlt bekommen, liegt dem Krankenhaus jedoch nicht vor.
Die Rosinenpickerei: Über Arbeitszeiten und Dienste lässt sich in knappen Zeiten gut verhandeln – Wohnen im Hotel nötigenfalls inklusive. Das Nachsehen hat auch die feste Belegschaft – sie müssen dann die verbliebenen, undankbaren Jobs ausfüllen.
Finanziell sind diese Verträge für die Kliniken eine große Belastung. Damit das Krankenhaus seine Leistungen erbringen kann, muss ausreichend Personal und Material vorgehalten werden. Diese Extrakosten werden aber nicht mehr durch die Einnahmen des Krankenhauses abgedeckt, selbst wenn alle Angestellten zusammen Tag und Nacht ihre Arbeit erbringen. Die Kliniken verdienen mit OPs und Behandlungen nicht genug Geld, um das zu finanzieren.
Müller-Gemmeke stellte die Frage, ob Arbeitnehmerüberlassung hier auf Dauer nicht stärker reglementiert werden sollte. Eine intensivere Bindung aller Angestellten an einen guten Arbeitgeber und verbesserte Arbeitsbedingungen würden auch die Loyalität der Belegschaft positiv beeinflussen, bestätigte der Betriebsratsvorsitzende André Werner.
Alle konnten sich vorstellen, dass die Arbeit im Krankenhaus wieder erfüllend sein kann, wenn sich hier die Rahmenbedingungen ändern.
85% der Ausgaben im Krankenhaus sind fix, aber die Einnahmen richten sich nach der Belegung. Daher wünscht sich die Geschäftsführerin eine belegungsunabhängige Finanzierung der Kliniken. Die variablen Kosten wiederum sollten nach tatsächlichen Aufwendungen und nicht pauschal abgerechnet werden. In einem Monat werden zum Beispiel mehr Implantate und Nahtmaterial gebraucht, im anderen weniger.
Dass das System der Krankenhausfinanzierung dringend weiterentwickelt werden müsse, betonte auch Müller-Gemmeke. Es gehe darum, ein Modell zu entwickeln, in dem die auskömmliche Finanzierung von Vorhaltekosten dauerhaft integriert ist und das auch die aus dem DRG-System resultierenden Fehlanreize abbaut. Wichtig sei zudem eine realistische Personalbemessung, die eine menschenwürdige und gute Pflege erst ermöglicht.
Michael Fischer, selbst Arzt und im Kreisrat ebenso damit befasst, machte deutlich, dass die Finanzierung eines Krankenhauses zu seinem Versorgungsauftrag und zu seinem Einzugsgebiet passen muss. Eine Klinik im ländlichen Raum wie in Freudenstadt deckt immerhin 80% aller Fälle ab, mit denen Patienten überhaupt jemals in ein Krankenhaus kommen.
Nur Spezialfälle werden an Fachkliniken überstellt. Bliesener sieht auch in einer besseren Ausgestaltung ambulanter Angebote weitere personelle und finanzielle Entlastungsmöglichkeiten für die Kliniken.
Vor allem sollten Patienten nicht die Notaufnahme ansteuern, wenn eigentlich kein Notfall vorliegt. Mit Sorge beobachten die Ärzte diesen Trend. Für ein schmerzendes Handgelenk nach der Gartenarbeit ist der Hausarzt zuständig.
Dem Kreisrat ist es zu verdanken, dass die Finanzentscheidungen der öffentlichen Hand bisher zugunsten einer wohnortnahen Versorgung durch die Kliniken ausgefallen sind. Der Landkreis beteiligt sich in hohem Maße an der Finanzierung des Krankenhausbetriebes.
Grundlegende Änderungen im Finanzierungssystem sind allerdings Sache des Bundes. Beate Müller-Gemmeke hat die Botschaft nach Berlin gebracht.
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