Eutingen im Gäu: Zwei Stunden Verkehrslärm live

Hunderte Bürger*innen schlafen schlecht

Seit Dezember hat die Gemeinde Eutingen im Gäu einen neuen Lärmaktionsplan, denn eine Bundesstraße führt mitten durch das Dorf. Über 1.200 LKW brettern täglich über Schachtdeckel und Unebenheiten im Straßenbelag. Sara Haug, Bundestagskandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, stellte sich am 11.08.2021 zwei Stunden lang an die B28a und sprach mit Gemeindevertretern und Anwohner*innen.

Das dürfte einer der anstrengendsten Termine der ganzen Wahlkampftour gewesen sein: Ohrenbetäubendes Scheppern beim Vorbeirauschen der Autotransporter, Speditions-LKW und Fahrzeuge ortsansässiger Unternehmen wie dem DHL-Postfrachtzentrum. Zeitweise konnte man sein eigenes Wort nicht verstehen, so laut dröhnte der Verkehr.

Seit langem setzen sich betroffene Eutingerinnen und Eutinger daher für Abhilfe ein. Jüngst brachte eine Unterschriftenkampagne 504 Unterzeichner*innen zusammen. Bei 2.350 Einwohner*innen im Hauptort der Gemeinde sind das über 20% der Einwohnerschaft. Sabine Sommer, Mitglied im Eutinger Aktionsbündnis für eine verkehrsberuhigte Ortsdurchfahrt und eine der Betroffenen, zitiert die offiziellen Messungen: „Der Lärm ist deutlich zu hoch auf der Bundesstraße und ebenso an der Weitinger Autobahnbrücke.“

Schallschutzfenster sind nur für wenige Anwohner*innen eine Alternative, denn nur in jüngeren Gebäuden mit entsprechend schalldichtem Mauerwerk sind hier Verbesserungen zu erwarten, und diese auch nur in Kombination mit niedrigen Geschwindigkeiten, sagt Markus Latz vom Aktionsbündnis. Er hat damit gute Erfahrungen gemacht.

Entlastung durch die Hochbrücke?

Für 2025 ist derzeit die Freigabe der Hochbrücke Horb geplant. „Selbst wenn damit 70% weniger LKW durch Eutingen fahren, sind das immer noch über 400 Fahrzeuge am Tag“, rechnet Martin Kramer, Gemeinderat in Eutingen. Anton Friedrich, auch Gemeinderat, stellt sich eine intelligente Verkehrsführung vor und fordert mehr Digitalkompetenz ein. Ein komplettes Durchfahrtsverbot für LKW sieht er als „utopisch“, denn die B28a ist als Ausweichstrecke für die Autobahn A81 ausgewiesen. Denkbar wäre allerdings, diese Bedarfsumleitung nur freizugeben, wenn die Verkehrslage auf der Autobahn dies tatsächlich erfordert. In geschätzt 95% aller Zeit ist dies nämlich nicht so, und dann würde eine Durchfahrtserlaubnis nur für Anlieger eine spürbare Entlastung bringen.

Karl-Heinz Kramer, Mit-Initiator des Aktionsbündnisses, betont: „Seit letztem November hat sich bei uns schon viel bewegt. Der Leserbrief der Horber Grünen Kristina Sauter und Wolf Hoffmann hat viel Aufmerksamkeit bekommen.“ (Südwestpresse/Neckarchronik vom 08.03.2021) Kristina Sauter wirft ein, „die Gemeinden wollen Gewerbegebiete, aber sie wollen nicht den Verkehr.“ Sie betont auch, dass die Grünen hier keine Verbots-, sondern eine Gebots-Partei sind: „Wir gebieten eine Verkehrsplanung, die Rücksicht nimmt auf die Anwohner*innen.“

Kristina Sauter und Karl-Heinz Kramer betonen, auch die Situation in Bildechingen muss mitbedacht werden, wenn die Hochbrücke in Betrieb ist.

Baumaßnahmen könnten helfen

Ein erheblicher Teil des Lärms wird durch die Vibrationen erzeugt, wenn die Laster über unebene Stellen fahren. Karl-Heinz Kramer: „Die Schachtdeckel erzeugen dermaßen starke Erschütterungen, dass das ganze Haus vibriert. Da klirren die Gläser im Wohnzimmerschrank!“

Eine Sanierung der Schachtdeckel wäre also hilfreich. Allerdings sollte man sich durch „Flickschusterei“ kein neues Problem schaffen, argumentiert Gemeinderat Martin Kramer, und verweist auf den Lärmaktionsplan der Gemeinde, der eine komplette Sanierung des Straßenbelags immerhin als Forderung der Bürger*innen auflistet, allerdings ohne zeitlichen Horizont.

Auch PKW tragen zum Lärm bei. Markus Latz vom Aktionsbündnis und auch Anwohner der Bundesstraße, schildert die Strecke nach dem „Blitzer“: „Wenn die Leute durch sind, geben sie Vollgas.“ Sein Vorschlag: Wenn das Ortsschild weiter nach außen gerückt wird, rechnen alle Navigationssysteme mit einer längeren Durchfahrtszeit durch den Ort. Für den Fernverkehr macht dies die Strecke unattraktiver. Das ist wichtig, wenn die Hochbrücke kommt.

Das Aktionsbündnis fordert durchgängig Tempo 30 in der gesamten 1,2 km langen Ortsdurchfahrt. Hier könnte seitens Grüner Verkehrspolitik Unterstützung vom Bund kommen. Bisher mussten Tempo 30-Beschränkungen aufwändig begründet werden. Im Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen gibt es einen besseren Vorschlag, erklärt Sara Haug: Ziel ist, Anwohner*innen zu schützen und – ganz wie vom Eutinger Aktionsbündnis gefordert – einen lebenswerten und verkehrssicheren Ortskern zu schaffen. Wird Tempo 30 innerorts zum Standard, dann kehrt sich die Begründungslast für die Gemeinden um, die höhere Geschwindigkeiten erlauben möchten. Sie müssen dann erst nachweisen, dass dies niemanden beeinträchtigt.

Gesetzgebung nutzen

Ein Teil des Schwerlastverkehrs sind Mautpreller. Martin Kramer ist es ein Anliegen, deren Anzahl zu verringern. Sabine Sommer erwähnt den Hochdorfer Mautzähler. Denkbar wäre so eine Lösung auch für Eutingen. Kramer bestätigt, die LKW-Nutzer sollen „zur Finanzierung dessen beitragen, was sie kaputt machen“.

Eine große Herausforderung, erläutert Martin Kramer, sind die unterschiedlichen Zuständigkeiten für die verschiedenen denkbaren Maßnahmen, die im Eutinger Lärmaktionsplan aufgelistet sind. Bei jeder Neuerung muss geprüft werden: „Wer sind die Ansprechpartner, auf wen müssen wir zugehen?“ So ist für die gewünschte Weitinger Lärmschutzwand der Bund zuständig. Für die Einsatzplanung der mobilen Blitzer, die Eutingen gerne öfter einsetzen würde, ist die Stadt Horb zuständig, und für viele Maßnahmen, die im Gemeinderat diskutiert werden, muss das Regierungspräsidium erst grünes Licht geben. Für Anton Friedrich ist nicht ausgeschlossen, juristische Schritte zu prüfen, wenn die Anstrengungen der Gemeinde ins Leere laufen.

Dranbleiben und weitermachen

„Wir brauchen Hoffnung – wir brauchen eine Perspektive!“ drängt Karl-Heinz Kramer. Kristina Sauter bietet den Eutingern ein Treffen mit den Horbern an, um Ideen und Erfahrungen auszutauschen.

Auf der Homepage der Gemeinde kann der Lärmaktionsplan öffentlich eingesehen werden.

Sara Haug sprach sich für den Lärmschutz aus. Wenn die Lebensqualität der Menschen in den Gemeinden so stark eingeschränkt sei, muss dringend etwas geändert werden. Sollte sie in den Bundestag gewählt werden, möchte sie sich dafür einsetzen, dass Politik wieder am Menschen ausgerichtet wird.


Auf dem Bild sind Anwohner*innen und Gemeinderäte sowie Sara Haug (zweite von links) und Horber Grünen-Gemeinderätin Kristina Sauter (dritte von links) zu sehen.
Bild und Text stammen von Vera Naumann

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