Grüne Jugend: Wirtschaft in der Region

Öffentliche Podiumsdiskussion mit Dr. Sandra Detzer (Grüne Bundestagsabgeordnete, Wirtschaftspolitische Sprecherin) und Dr. Sergej Schwarz (Vorstand HOMAG) am 05.02.2024 im Kurhaus FDS

Die Grüne Jugend im Kreis hatte zu einem Diskussionsabend unter dem Motto „Wirtschaft in der Region“ eingeladen. Die Bundestagsabgeordnete und wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen, Dr. Sandra Detzer und das Vorstandsmitglied der HOMAG Group, Dr. Sergej Schwarz stellten sich den Fragen der beiden Sprecher der jungen Grünen. Anna-Lena Asprion und Thomas Schmidtlein hatten sich im Vorfeld intensiv mit den beiden Diskussionsteilnehmern befasst und sich sehr gut vorbereitet. Die Politikerin und der Manager stellten sich dem Publikum kurz vor. Dr. Sandra Detzer ist in München geboren, hat dort Politik und Volkswirtschaft studiert und hat „niemals daran gedacht, in die Politik zu gehen“, wie sie selbst bestätigte. 2016 wurde sie Landesvorsitzende der Grünen in Baden-Württemberg, seit 2021 vertritt sie den Wahlkreis Ludwigsburg als Bundestagsabgeordnete. Die 43-Jährige ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann in Heidelberg, wenn nicht in Berlin Sitzungswochen sind. Dr. Sergej Schwarz ist in Kasachstan geboren, hat in Russland begonnen, Physik zu studieren und kam Anfang der 90er Jahre nach Deutschland. Hier hat er sein Studium beendet und bekannte ebenso freimütig wie Detzer „ich hatte keine Ahnung, wohin mich mein Weg führen wird“. Viele Jahre hatte Schwarz dann beim Automobilzulieferer Schaeffler den Sektor Erneuerbare Energien geleitet. Seit 2016 ist er beim Holzmaschinenbauer HOMAG in Schopfloch, Ende 2021 wurde er ins dreiköpfige Vorstandsteam der HOMAG Group gewählt. Der 52-Jährige wohnt mit seiner Familie in Nürnberg, „ist aber meistens sowieso irgendwo in der Welt unterwegs. Den vielen jungen Zuhörern gab er gleich mit auf den Weg „heutzutage ist lebenslanges Lernen aus der Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken. Was Sie früher einmal gelernt haben, wird niemals bis zur Rente ausreichen“.

Zur Frage, was kann Politik für die Wirtschaft tun, hatte Sergej Schwarz gleich ein ganzes Bündel an Vorschlägen parat. Zu den richtigen Rahmenbedingungen gehöre, die Überregulation in der Bürokratie endlich zu reduzieren, die Zuwanderung von Fachkräften zu erleichtern und die Sicherung von Ressourcen. Schwarz kennt – genau wie Detzer – gut ausgebildete Fachkräfte, die hier nicht arbeiten können, weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden oder ihr Aufenthaltsstatus ungeklärt sei. Sandra Detzer sagt dazu, „in Deutschland neigen wir dazu, alles, was hier nicht gelernt wurde, als weniger wert anzusehen, eine Haltung, die sich das Land schon lange nicht mehr leisten kann“.  

Sergej Schwarz erinnert daran, dass Deutschland nicht über Ressourcen an Rohstoffen verfüge, dafür aber jede Menge gute und kluge Köpfe habe. Anna-Lena Asprion spricht das Thema Fachkräftemangel an, allein über 530.000 offene Stellen seien kaum zu besetzen. Schwarz weist darauf hin, dass die HOMAG zu den besten drei Ausbildungsbetrieben in Deutschland zähle und bisher keine Probleme habe, offene Ausbildungsstellen auch zu besetzen. „Arbeit muss spannend sein, muss Spaß und Freude machen, auch gut bezahlt sein, es muss Leidenschaft da sein“, stellt er fest. Sein Unternehmen versuche zudem, den Mitarbeitenden flexible Arbeitszeiten zu ermöglichen, die sich an die jeweilige Lebenssituation anpassen lassen. Während der Erziehung der Kinder kann die Arbeitszeit reduziert werden, müssen später  Immobilienkredite abbezahlt werden, kann sie erhöht werden, bei der Pflege der Eltern dagegen wieder verringert werden.

Auch Sandra Detzer hält gute Ausbildung für unersetzlich. Sie fordert, „die betriebliche Ausbildung braucht wieder mehr Anerkennung in Deutschland, sie soll als gleichwertig zu einem Studium gelten“. Der Ausbildungsmarkt lebt auch von „Mund zu Mund-Propaganda, das müssen die Betriebe nutzen“, so Detzer. Sie will auch das Potenzial arbeitswilliger Frauen nutzen, viele wollten gerne aus der Teilzeit zurück in Vollzeit. Auch Sandra Detzer sieht die hohen Hürden für zugewanderte Fachkräfte im Land , dabei habe der „war for talents“ schon lange begonnen. Und Deutschland habe dabei nicht die besten Karten. Sergej Schwarz bestätigt, dass das Land nicht mehr unter den beliebtesten 50 Einwanderungsländern rangiert.

Dabei spielen auch die ausländerfeindlichen Entwicklungen im Land eine Rolle. Sergej Schwarz sagt, „ich habe einen Migrationshintergrund. Ich bin immer freundlich und offen in diesem Land aufgenommen und behandelt worden“. Als nun die verharmlosend benannten „Remigrationspläne“ der AfD bekannt wurden, habe ihn sein 12-jähriger Sohn gefragt, „Papa, wo müssen wir dann hin“? Er selbst sei Russe, seine Frau komme aus der Ukraine, er konnte seinem Sohn keine Antwort geben, löste  im damit Publikum Betroffenheit aus. „Der „Dexit“ in den Phantasien von Alice Weidel würde Deutschland ruinieren“, ist Schwarz überzeugt. Detzer ergänzt, „im Bereich DEHOGA haben 40 Prozent der Beschäftigten einen Migrationshintergrund, die Branche würde ohne sie zusammenbrechen.“

Thomas Schmidtlein fragt nach der künftigen strategischen Ausrichtung der HOMAG, nachdem die Firma Weinmann ins Firmenportfolio aufgenommen wurde. Sergej Schwarz bestätigt, dass damit der Einstieg in den Bau von Holzhäusern forciert werden soll, ein starker Wachstumszweig für die Gruppe. Das freut die Politikerin, denn damit könne auch der Mangel an bezahlbarem Wohnraum angegangen werden.

Zu den Problemen energieintensiver Branchen erklärt Detzer, dass „Wirtschaften  in planetaren Grenzen erforderlich ist“.  So müsse besonders die Chemieindustrie weg von der erdölbasierten Produktion. Ein Weg, den zum Beispiel der Chemieriese BASF bereits erfolgreich gehe, in dem auf Wasserstoff umgestellt werde. HOMAG erzeuge mit Solarmodulen schon einen wesentlichen Teil seiner benötigten Energie selbst, häufig könne man sogar Strom verkaufen. Zur Frage von Thomas Schmidtlein, ob „wir in Länder mit fragwürdiger Moral exportieren sollen“, sagt Sergej Schwarz, „Deutschland ist eine Exportnation, wir können nicht nur mit Demokratien arbeiten“. Sandra Detzer verweist auf das Lieferkettengesetz, „das ist so wichtig für einen fairen Wettbewerb und nachhaltiges Handeln“. Deutschland hat das Gesetz gerade in der Europäischen Union blockiert, es liegt nun vorerst auf Eis, der FDP sei es zu bürokratisch. Nach der Fragerunde entspann sich noch eine lebhafte Diskussion.

Im Anschluß zur Podiumsdiskussion gab es noch eine lebhafte Fragestunde fürs Publikum. Ein Zuhörer meinte, dass früher die Transportkosten ein ganz wesentlicher Standortfaktor waren. Seine Frage lautete, wohin geht hier die Entwicklung. Sandra Detzer erklärte, dass die Erhöhung der LKW-Maut dazu führen wird, dass diese Kosten weiter steigen. Allerdings sagt sie auch, „die Spediteure haben mit den Bauern gestreikt, die Transformation und die Anpassung brauchen Zeit“. Sergej Schwarz antwortet, dass die grundsätzliche Frage sei, wie man Logistikkosten bepreist, tendenziell sieht er da Nachteile für Deutschland. Für Sergej Schwarz ist Sprache immer noch eine Barriere, das sei heutzutage ein Problem.
Winfried Asprion sieht den Föderalismus in Deutschland als Problem für den Wirtschaftsstandort an und fragt sich, ob ein zentralistischer geführter Staat – wie zum Beispiel in Frankreich – nicht Vorteile biete. Sandra Detzer wünscht sich, dass Deutschland aus dem Föderalismus Stärke bezieht, etwa aus der Vielfalt an gut gemanagten Beispielen. Bei Bildung und der Energiepolitik sieht die Politikerin noch Potenzial für eine bessere Koordination. Sie fordert, „Föderalismus darf keine Innovationsbremse sein“. Detzer erinnert das Publikum daran, dass die föderalistische Struktur in Deutschland eine Folge der Vorgaben der Alliierten nach dem II. Weltkrieg war, die eine Aufteilung der Macht im Land  beschlossen.
Eine weitere Frage galt ganz konkret der Kommunalpolitik. Die Verwaltung habe beantragt, Sprachkurse für Menschen in Berufsarbeit zu finanzieren, dies wurde vom Kreistag abgelehnt. Sandra Detzer vermutet, dass vor allem Personalmangel der Grund dafür sein könnte. Sie fordert, diese Förderung den Unternehmen zu überlassen, die viel eher beurteilen könnten, wer welche Förderung benötige.
Christina Nuss zitiert Sahra Wagenknecht, die gesagt habe, dass Deutschland immer noch russisches Gas über Indien beziehe. Detzer hält es für möglich, dass Russland andere Handelswege nutzt, um Gas zu liefern. Sie sagt aber auch ganz klar, „wir wollen überhaupt kein Gas mehr, auch kein Fracking-Gas aus den USA“.  

Thomas Schmidtlein fragt, was angesichts der vielen Krisen derzeit noch Mut machen könne.
Sergej Schwarz sagt, „mir machen junge Menschen, neuere Technologien und neue Wege Hoffnung. Auch viele Betriebe, die einfach weitermachen“.
Sandra Detzer hat Hoffnung, „weil es Unternehmen wie HOMAG und Menschen wie Sergej Schwarz gibt, die zuversichtlich und selbstbewusst in die Zukunft gehen. Und weil es im Kreis Freudenstadt eine grüne Jugend gibt“. 

Hier das Presseecho:
https://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.podiumsdiskussion-in-freudenstadt-gruene-jugend-zeigt-interesse-an-der-arbeitswelt-von-morgen.a3b7df18-de1b-4317-9343-d0d2f35ab623.html
https://www.neckar-chronik.de/Nachrichten/Deutschland-ist-nicht-mehr-in-den-Top-50-619047.html

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